Sonstiges Hilfe! Fall in der Familie - Übungsfall

Hochschulabschluss
Bachelor
Studiengang
Bachelor of Laws
Liebe Kommilitonen,
ich habe derzeit einen Fall in der Familie, der vertiefte Kenntnisse im Arbeitsrecht verlangt. Ich habe bereits die Grundlagen in einem Sachverhalt zusammengefasst und würde mich freuen, wenn wir hier zwecks Übung eine Diskussion starten. Es gibt ja keine bessere Erfahrung als die übliche Fälle aus dem realen Leben :)
 

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  • Kündigung_Fall_Sachverhalt.pdf
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Hi AniSla,

könntest Du dies näher erläutern ?

„... ohne Begründung; betriebsbedingt ...“

Danke

Mit freundlichen Grüßen

bachfeld
 
Meine Einschätzung zur Sachlage:

Sofern die Daten stimmen und bisher nichts unternommen wurden ist, dann hat deine Verwandte keinen Anspruch auf Beschäftigung oder ggf. Abfindung, weil die Kündigungsfrist von 3 Wochen (3 Wochen nach Erhalt der Kündigung MUSS Klage erhoben werden) abgelaufen.

Einen Anspruch auf Ersattung der Reisekosten kann man jetzt auch nicht pauschal beantworten. War eine Rückfahrt nicht mehr zumutbar aufgrund der Entfernung? Die Spritkosten kann V auf jeden Fall ersetzt bekommen. Zu achten ist aber auf eine Ausschlussklausel im Arbeitsvertrag, und ggf. auf die Wirksamkeit der Ausschlussklausel. Ich gehe stark davon aus, dass eine Ausschlussklausel vereinbart worden ist. Die müsstest du hier in seinem Wortlaut mal aufschreiben. Dasselbe gilt für etwaige Urlaubsansprüche. Die kann V, umgerechnet ca. 7,5 Tage, ausgezahlt verlangen.

PS: Grds. hätte deine Verwandte einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung, bzw. auf eine Abfindung. In einer Abmahnung muss zwar grds. nicht auf eine mögliche Kündigung Bezug genommen werden, weil die Abmahnung an sich schon eine Warnung darstellen soll. Allerdings müssen schon triftige Gründe vorliegen, um ein befristetes Arbeitsverhältnis zu kündigen. Insbesondere wurde die Frist von dem Arbeitgeber nicht eingehalten, nach § 626 BGB ( 2 Wochen), sodass das Arbeitsgericht die fristlose in eine ordentliche Kündigung umwandeln würde. Zudem muss eine fristlose Kündigung begründet werden. Also grundsätzlich, ohne jetzt etwaige Gründe zu kennen, hätte V, sofern die Präklusionsfrist eingehalte wurde, gute Chance gegen den Arbeitgeber zu klagen.
 
Ich sehe jetzt erst einmal nur folgende Möglichkeiten:
  • Kündigung selbst: Die Frist für eine Kündigungsschutzklage ist verstrichen, daher ist ein Vorgehen gegen die Kündigung vermutlich aussichtslos. Einziger Ausweg könnte sein, wenn die Kündigung selbst von Anfang an nichtig ist, weil dann eine Klage gegen die Kündigung möglicherweise entbehrlich gewesen wäre. Dier sehe ich aber nur die Möglichkeit, zu prüfen, ob die Unterschrift auf dem Kündigungsschreiben eigenhändig von einer berechtigten Person vorgenommen wurde. Ist das nämlich nicht der Fall, ist die Kündigung nach §§ 125, 126 I, 623 BGB nichtig und konnte mithin nicht die gewünschte Wirkung entfalten. Welche Frist in diesem Fall zu beachten wäre, weiß ich leider nicht.
  • Fahrtkosten: Der Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten ist vertraglich geregelt und mithin meiner Ansicht nach unbestreitbar.
  • Reisekosten: Ein Anspruch auf Erstattung der übrigen Reisekosten (Verpflegung, Übernachtungen) ist nach meinem Rechtsverständnis nicht von den Informationen gedeckt, die mir vorliegen. Insofern würde ich einen Anspruch verneinen. Allerdings können die nicht erstatteten Reisekosten als Werbungskosten bei der Steuer geltend gemacht werden.
  • Urlaubsanspruch: Der Urlaubsanspruch der D für das Kalenderjahr 2020 bleibt auch durch die Kündigung erhalten. Wenn es keine entgegenstehenden Vereinbarungen im Arbeitsvertrag gibt, wären das 25 % der 30 Urlaubstage, also 8 Urlaubstage (immer aufrunden). Diese Urlaubstage sind (finanziell) auszugleichen, d.h. der D steht nach meiner Rechtsauffassung (über das Arbeitsentgelt für die Monate Januar bis März hinaus) noch das Arbeitsentgelt für 8 Arbeitstage zu.
Sollten die Zeitangaben im Sachverhalt nicht der Realität entsprechen und die Frist von 3 Wochen zur Klageerhebung noch nicht verstrichen sein, würde ich dringend zur Konsultation eines Fachanwalts für Arbeitsrecht raten, um mit diesem eine Klage aufzusetzen. Bis zum Ablauf der 3 Wochen muss die Klage nämlich eingereicht sein. Vor dem Arbeitsgericht der ersten Instanz gibt es keinen Anwaltszwang, es wäre also auch möglich, ohne Anwalt eine Klage einzureichen, wenn kein Anwalt rechtzeitig zur Verfügung steht.
  • Abmahnung: Die Abmahnung hat eine Rüge- und eine Warnungsfunktion. Ohne Androhung von Konsequenzen ist die Warnungsfunktion nicht erfüllt. Ich gehe daher von Unwirksamkeit der Abmahnung aus. Ob eine tatsächliche Verfehlung seitens der D vorliegt, ist dann unerheblich, müsste aber im Zweifel vom Arbeitgeber bewiesen oder mindestens glaubhaft gemacht werden.
  • Kündigung: Eine fristlose Kündigung muss grundsätzlich immer von einem wichtigen Grund getragen sein. Es lohnt sich, schriftlich eine Angabe von Gründen einzufordern. Eine fristlose Kündigung wird vom Arbeitsgericht aber regelmäßig in eine fristgerechte Kündigung umgedeutet werden, was im Normalfall trotzdem eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedeutet. Bei einem befristeten Arbeitsverhältnis ist eine ordentliche Kündigung aber im Normalfall ausgeschlossen. Es könnte also dazu kommen, dass die D noch bis zum Ende der Befristung weiterzubeschäftigen wäre.

Ich habe leider keine Zeit für ein vollständiges Rechtsgutachten.
 
Hi AniSla,

könntest Du dies näher erläutern ?

„... ohne Begründung; betriebsbedingt ...“

Danke

Mit freundlichen Grüßen

bachfeld

Es steht "hiermit kündige ich Ihren Anstellungsvertrag fristlos betriebsbedingt zum 31.03.2020". Somit ist die AO Kündigung sowieso nicht mehr möglich, da keine Begründung gegeben ist.
 
Vielen Dank an allen, die sich die Zeit genommen haben! Eine fristgerechte Kündigungsschutzklage ist bei dem zuständigen Arbeitsgericht bereits erhoben worden. Ich habe den gesamten Fall in Form von einem Sachverhalt zusammengefasst, weil ich den besonders interessant und praxisnah finde.
Desweiteren steht eine Güteverhandlung vor. Die Gegenseite hat bereits folgendes vorgeschlagen - Ende ser Arbeitsverhältnis am 31.05.2020 bei gleichzeitiger Freistellung uns Fortzahlung der Vergütung und Anrechnung von Urlaubsansprüche und etwaige Überstunden.
Dabei sehe ich folgende Probleme:
- Die fristlose Kündigung ist sowieso ohne Begründung nicht gestattet. Von daher ist es keinen Punkt, der eine Verhandlung voraussetzt. Das Arbeitsverhältnis bleibt frühestens bis zum 31.05.2020 (ordentliche Kündigung mit 2 Monate Kündigungsfrist) bestehen.
- Bei der Freistellung am 30.03. ist nicht klar definiert worden, ob die Freistellung widerruflich oder unwiderruflich gewesen ist. In diesem Fall wird angenommen, dass die Freistellung widerruflich gewesen ist. Somit ist eine Anrechnung von Urlaubsansprüche nicht zumutbar. (ᐅ Dürfen Urlaubsansprüche bei einer widerruflichen Freistellung Anrechnung finden? :: Wissenswertes für Arbeitnehmer und Arbeitgeber - Dingeldein Rechtsanwälte - Kanzleien Bickenbach, Darmstadt, Gernsheim, Ober-Ramstadt) Meiner Meinung nach sollte der Urlaub nach §7 BUrlG abgegolten werden.
- Die Dienstreise ist unter Auftrag des Arbeitsgebers gewesen. Vielleicht könnte dabei den § 670 BGB herangezogen werden?
 
Es steht "hiermit kündige ich Ihren Anstellungsvertrag fristlos betriebsbedingt zum 31.03.2020". Somit ist die AO Kündigung sowieso nicht mehr möglich, da keine Begründung gegeben ist.

Dann soll der AG das "betriebsbedingt" einmal erklären.
Der SV deutet eher auf eine verhaltensbedingte Kündigung hin.

Ob die Kündigung o oder ao sein soll, ist nicht so ganz klar, da der AG ja den 31.05.2020 ins Spiel begracht hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Die Gegenseite hat bereits folgendes vorgeschlagen - Ende des Arbeitsverhältnis am 31.05.2020"

Das hatte ich auch ausgerechnet (s.o.).
Voraussetzung ist, dass die Kündigung ansonsten wirksam ist.
Das ist sehr zweifelhaft.
 
Zuletzt bearbeitet:
"... gleichzeitiger (1) Freistellung und (2) Fortzahlung der Vergütung und (3) Anrechnung von Urlaubsansprüchen ..."

(2) Muss AG sowieso machen.


(1) / (3)
Die Freistellung kommt in Betracht, wenn AG-Interessen Vorrang
gegenüber dem - verfassungsrechtlich geschützten - Anspruch auf Beschäftigung des AN haben.
Insbes: Kündigung wirksam.
Das ist sehr zweifelhaft.

Anrechnung von Urlaubs-A
- Freistellung
-- Widerrufliche: N
-- Unwiderrufliche: J

An eine unwiderrufliche Freistellung müssen hohe Ansprüche gestellt werden.
Der AN hat nämlich Urlaubs-A (7 IV / 6 II BUrlG).
Diese könnten bei einer Anrechnung wegfallen.

Ob es sich da für die ANin lohnt zuzustimmen ?
Fraglich.
Der AG wird nur etwas vorschlagen, was für ihn günstig ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Die Gegenseite hat bereits folgendes vorgeschlagen"

Prüfen, was rechtlich maximal zu bekommen ist.*
Darauf aufbauend, kann verhandelt werden.

*Da muss nichts verhandelt werden.
 
Somit ist die AO Kündigung sowieso nicht mehr möglich, da keine Begründung gegeben ist.

Nach 626 II BGB ist der AG dazu verpflichtet, dem AN auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitzuteilen.
Der Verstoß gegen diese Pflicht führt jedoch nicht dazu, daß die Kündigung unwirksam ist.

Ja, leider.
 
ANin ist befristet beschäftigt (TzBfG).

O Kündigungen sind nur dann zulässig, wenn im ArbV vereinbart (s.o.).
Ist dies der Fall ?
 
Dann wird eine fristlose Kündigung - soweit ich weiß - regelmäßig in eine ordentliche Kündigung umgewandelt, da der AG ja den Auflösungswillen klar deutlich gemacht hat. Die Freistellung kann in meinen Augen nur widerruflich gewesen sein, da - wie bachfeld bereits erwähnte - an die unwiderrufliche Freistellung hohe Ansprüche gestellt werden.

In meinen Augen:
  • Effektiv ordentliche Kündigung, damit Anspruch auf Arbeitsentgelt bis zum Ende der Kündigungsfrist, also bis Ende Mai
  • Anspruch auf Erholungsurlaub für 5 Monate, also unter normalen Umständen 5/12 * 30 = 12,5 gerundet 13 Arbeitstage
  • Fahrtkosten sind unzweifelhaft zu ersetzen
  • Bei analoger Anwendung von § 670 BGB auch Erstattung der übrigen Reisekosten, soweit verhältnismäßig
Wenn die Abmahnung erfolgreich angegriffen wird, könnte eventuell auch die reguläre Kündigung ins Wackeln kommen. Das wird nicht dazu führen, dass das Arbeitsverhältnis bestehen bleibt. Aber da könnte noch eine Abfindung drin sein.
 
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