Lehramtsstudium: Aussuchen statt Ausbrennen

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Von Lehrern erwarten wir viel: Wissen, Empathie und Begeisterung für ihren Beruf. Warum gibt es dann keine pädagogischen Eignungstests?

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Anerkennung statt Lehrerbashing!

Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen, lügen.


Wenn die Statistik stimmt, dann gehöre ich, wenn ich ihn Bayern leben würde, zu den sechs von hundert Lehrern, die bis zur Pensionierung arbeitet. Wenn es nach Doris Cihlars geht, bin ich, ohne es gewusst zu haben, schon „als Lehrer auf die Welt“ gekommen, obwohl ich doch etwas anderes werden wollte.


Noch vor einigen Jahren wurden wir von offizieller Seite populistisch als „faule Säcke“ (Bundeskanzler Schröter) beschimpft, heute traut sich das kaum noch jemand, der bei Verstand ist. Heute tuen manche so, als ob sie sich um das Wohl der Lehrer Sorgen machen:“ Aussuchen, statt ausbrennen“. Spätestens dann, wenn man einen hohen, aus Steuern finanzierten Betrag, nennt, der ein ausgebrannter Lehrer „durchschnittlich“ den „bayrischen Freistaat“ kostet, nämlich 375 000 Euro, zusammen 250 Millionen im Jahr, spätestes dann, hat man die alten dumpfen Vorurteile gegen die Lehrer/innen wieder mobilisiert. Zahlen können ja bekanntlich nicht lügen. Nobert Seibert, Lehrstuhlinhaber für Schulpädagogik in Passau, schätzt, dass 40% der Lehramtsstudenten „eigentlich ungeeignet für den Beruf“ seien. „Außerdem“, so seine Kollegin, Doris Cihlars, seien „gerade die pädagogischen Kernkompetenzen .... bereits mit 20 Jahren bereits gut ausgebildet, dass ich prognostizieren kann, ob dieser Mensch später allein vor einer Klasse Probleme bekommen wird.“ Psychologisch eine unhaltbare Hypothese, es sei denn man ist Anhänger der längst überholten Theorie, dass Begabung genetisch programmiert sei. Wissenschaftstheoretisch nicht gerechtfertigt, da auf Grundlage einer nur begrenzten Anzahl von Beobachtungsaussagen zu einer bestimmten Zeit, sehr allgemeine, uneingeschränkte Behauptungen für die Zukunft aufgestellt werden. Das nannte Karl Popper Induktivismus oder „Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes, an der nahezu alles falsch“ sei. Viele Formen der Reifung sind nach dem derzeitigen Stand der Sozialisationsforschung nicht eindeutig einem der Faktoren Vererbung oder Umwelt zuzuordnen. Wer den Zahlen der Wissenschaftler vertraut, muss aber spätestens jetzt die nackte Angst ergreifen und die Frage durch den Kopf schießen: “Wird denn mein Kind von 40% unfähigen Lehrern/innen unterrichtet? Wenn man dann weiterliest und die nächste Zahl von Prof. Uwe Schaarschmidt um die Ohren gehauen bekommt, der bei 60% von 16 000 Lehrern „Überforderung und Resignation“ festgestellt hat, dann beginnt man all die Lehrer/innen vom letzten Elternsprechabend im Geist revue passieren zu lassen und passt die gerade schwarz auf weiß gelesenen Zahlen der Realität an, weil ja Zahlen und Professoren sich nicht irren können. „Ja, der Herr Müller, der hat ja doch einen niedergeschlagenen Eindruck hinterlassen und Frau Maier, die wirkte auch irgendwie burn-out, ob die geeignet sind?“ Im schlimmsten Fall weiht man sein Kind ein und verbündet sich mit ihm gegen Frau Maier. Die alten Gräben sind damit wieder aufgerissen. Gegen das Burn-out werden „selektive Eingangstests“ oder „Eignungspraktika“ vorgeschlagen. Nimmt man die genannten Zahlen und die daraus abgeleiteten Urteile ernst, befindet man sich in einer ausweglosen Situation. Weder kann ich mein Kind von der Schule nehmen, noch gibt es genügend junge Lehrer mit den gewünschten „pädagogischen Kernkompetenzen“. Das Problem sind aber nicht „die unfähigen, ausgebrannten Lehrer“, sondern Denkfallen (kognitive Täuschungen), um beim Adressaten, ob bewusst oder unbewusst, die gewünschte Sichtweise zu generieren. Mit Hilfe von Statistik werden Menschen in die Irre geführt. Wenn ein Problem von Spezialisten aus dem Zusammenhang gerissen wird, ist das in etwas so wie, wenn ein Betrunkener einen Laternenpfahl vor allem zur Stütze seines Standpunktes und weniger zum Beleuchten eines Sachverhaltes benutzt. „Burnout ist weit entfernt davon, nur ein individuelles Krankheitsschicksal zu repräsentieren. Chronischer Stress über längere Zeiträume hinweg, ein anhaltendes Gefühl der Überforderung oder Überlastung sowie Enttäuschungen im Beruf werden als Ursachen für Burnout benannt“ (Prof. Dr. Sighard Neckel). Viele Lehrer sind, wie die meisten Schüler, nicht überfordert, weil sie unfähig sind, sondern weil die von der Politik formulierten Erwartungen unter den gegebenen schlechten Bedingungen an den Schulen an der Realität scheitern. Hier befinden sich Lehrer, Eltern und Schüler in einem Boot auf stürmischer See. Das Problem sind nicht „unfähige Lehrer“, noch „unfähige Schüler“, sondern ein Denken das festhält an einem System, das auf enormen Druck und unerbittlicher Auslese basiert und permanenten Stress für Schüler und Lehrer produziert: Zu große Klassen, zu viele Stunden, zu viel Stoff, zu viele Hausaufgaben, zu viele Tests und Prüfungen. Hinzu kommt, ein Schulsystem, das immer mehr zum Reparaturbetrieb der Gesellschaft wird und diese nicht gerechter macht, sondern die bestehende „Klassengesellschaft“ (Marco Maurer) reproduziert. Erschwerend kommen Journalisten hinzu, die sich des populistischen Lehrerbashings bedienen. Ja, viele Lehrer/innen sind wegen ihres rastlosen beruflichen Einsatzes und geringer gesellschaftlicher Anerkennung des eigenen Tuns, frustriert, manche auch ausgebrannt. Heute ist Burnout in der gesamten Berufswelt verbreitet. Kein vernünftiger Mensch würde vorschlagen bei anderen Berufsgruppen frühzeitig die Reisleine zu ziehen und entsprechende Eignungstest einführen! Burn-out ist ein gesellschaftliches und politisches Problem und wirft die Frage auf, wie wir künftig leben und arbeiten wollen.
 
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