Lernen & Organisation Bewährte Methoden zum effektiven Lesen wissenschaftlicher Texte

Ort
Mainspitze
Hochschulabschluss
Diplom-Wirtschaftsingenieur
2. Hochschulabschluss
Master of Business Administration
Studiengang
Bachelor of Laws
2. Studiengang
Erste Juristische Prüfung
Effektiv Lesen mit der SQ3R-Methode und den Cornell Notes

Die SQ3R-Methode (Survey, Question, Read, Recite und Review) zum effektiven, kritischen und aktiven oder verstehenden Lesen wurde von Francis P. Robinson entwickelt und in seinem Buch „Effective Study“ (1946) erstmals vorgestellt. Diese Methode, wenn auch leicht abgewandelt, begleitet mich schon viele Jahre und ich möchte sie, speziell bei wissenschaftlichen Texten nicht mehr missen.

Bevor Du liest wie ich die SQ3R-Methode anwende, lese bitte unbedingt den Artikel: Notieren, exzerpieren, zusammenfassen und memorieren mit den „Cornell Notes“. Das ist notwendig, falls Du es noch nicht getan hast, da die Cornell Notes ein essentielles Element meiner SQ3R-Variante sind und ich hier ihre Nutzung als bekannt voraussetze, damit der Aufsatz nicht noch länger wird.

Die SQ3R-Methode besteht aus fünf Phasen (s. Abb.; T=Phase/Task)

SQ3R_n_CornellNotes-V4.jpg

Phase 1: Survey (Überblick)

Sie dient dazu einen Gesamtüberblick über das Buch zu gewinnen. Dazu werden die folgenden Schritte durchlaufen:
  1. Titel, Klapptext, Impressum, Inhaltsverzeichnis, Literaturangaben, und Register lesen (evtl. mit einer Schnelllesetechnik)
  2. Inhalt beurteilen
  3. Wenn relevant: Vorwort, Nachwort, Zusammenfassung und einige Zeilen eines Kapitels lesen
  4. Niveau beurteilen
  5. Niveau in Ordnung: weiter mit Phase 2
  6. Niveau zu hoch: evtl. für später vormerken

Phase 2: Question (Befragen)

Diese Phase nicht auslassen und die Fragen schriftlich festhalten. Dadurch stellt sich das Gehirn auf den Text ein und das Unterbewusstsein wird für das Thema sensibilisiert. :belehren:

Mögliche Fragen sind z.B.:
  • Wer ist der Autor?
  • Was versteht der Autor unter seinen Hauptbegriffen?
  • Wozu schreibt der Autor den Artikel bzw. das Buch?
  • Warum kommt der Autor zu seinen Ergebnissen?
  • Wie war die Wirkung seines Artikels in der Wissenschaft?
  • Weitere themabezogene Fragen die für Dich relevant sind.
Tipp: Aus dem Titel, Inhaltsverzeichnis und Klapptext lassen sich durch einfaches Umformulieren einfach relevante Fragen generieren.:thumbsup:

Phase 3: Read (Lesen mit Cornell Notes)

Cornell180716v4.jpg

Hier beispielhaft mein Vorgeben für ein längeres Buch mit mehreren Kapiteln:

1. Bevor ich mit dem Lesen beginne, bereite ich je Kapitel/Frage ein leeres Cornell Notes Blatt (s.o.) vor, indem ich nur Feld 1 ausfülle und drucke die Blätter aus. Als Titel/Thema wähle ich die zu dem Kapitel gehörige Fragestellung. Bei mehreren Fragestellung in längeren Kapiteln drucke ich pro Frage ein Blatt aus.

2. Danach lese ich als erstes die Einleitungen und Zusammenfassungen der mir relevant erscheinenden Kapitel. Diese enthalten i.d.R. wichtige Hinweise (zu Vorgehen, Ergebnis und Ziel), die zeigen, ob sich das Lesen des Kapitels im Hinblick auf die in Phase 1 entwickelten Fragen lohnt.

3. Wenn ich mich für das Lesen entscheide, überfliege ich den Text. Stoße ich dabei auf Schlüsselwörter, Hervorhebungen, Tabellen, Diagramme oder unbekannte Wörter, so halte ich an und lese den dazugehörigen Abschnitt mit normaler Geschwindigkeit.

3.1 Eigenes Buch: Hier markiere ich die gefundenen Stellen am Rand; wichtige Textstellen z.B. mit !, !! oder !!! und unklare Passagen mit einem ?. Ferner unterstreiche ich kurze wichtige Aussagen und kreise Schlüsselwörter ein (manchmal mit unterschiedlichen Farben, um sie später einfacher wiederzufinden) und verbinde sie mit Linien oder Pfeilen miteinander (vgl. Mindmapping). Ab und zu schreibe ich kurze Anmerkungen oder mir unbekannte Definitionen in das Buch. (Anm.: Es kommt vor, dass ich den Text mehrmals lesen muss bis ich ihn ganz verstanden habe.)

Dann übertrage ich die Anmerkungen aus dem Buch in Feld 3 der dazugehörigen Cornell Notes Vorlage. Dabei reflektiere ich nochmals über meine Anmerkungen und überprüfe, ob sie ein schlüssiges Bild ergeben. Ich halte diesen Schritt für sinnvoll, da er mein Verständnis vertieft und mir erlaubt Unklarheiten aufzudecken. Danach fahre ich mit Phase 4 fort.

3.2 Fremdes Buch: Hier überspringe ich den Schritt 3.1 und trage meine Notizen und Anmerkungen (vgl. 3.1.) direkt in Feld 3 der vorbereiteten Vorlage ein und gehe weiter zu Phase 4.


Phase 4: Recite (Wiedergeben)

In dieser Phase vervollständige ich Feld 2 des Cornell Notes Blattes, indem ich z.B. in Feld 3 Schlüsselwörter farbig einkreise und sie mit farbigen Linien oder Pfeilen verbinde. Kernaussagen markiere ich evtl. mit einem Leuchtmarker. In den leeren Linien verweise ich ggf. auf Pro/Contra-Argumente, Beispiele, ergänze Namen und spalte Kernaussagen, wenn möglich, in Teilaussagen auf (down chunking; umschlüsseln von Informationen). In Feld 2 suche ich nach Oberbegriffen denen ich die Schlüsselwörter aus Feld 3 zuordnen kann (clustering, up chunking). Abschließend notiere ich in Feld 4 neben einer kurzen Zusammenfassung evtl. Fragen oder Ideen, die sich in Folge der Umschlüsselung und Clusterbildung herauskristallisiert haben.

Zum Schluss führe ich manchmal auf einem separaten Cornell Notes Blatt die Ergebnisse der Kapitel-Zusammenfassungen zu einer Gesamtzusammenfassung zusammen.

Dieser Prozess beinhaltet somit neben dem eigentlich Recite (Wiedergeben bzw. dem Beantworten der Frage in eigenen Worten) der klassischen SQ3R-Methode zusätzliche Schritte, die es mir erlauben neue Zusammenhänge zu entdecken und neue Ideen zu entwickeln. Durch dieses Vorgehen habe ich die der SQ3R-Methode nachgesagte Schwäche hinsichtlich der Entwicklung neuer Konzepte und neuer Ideen für mich gelöst. Neueren und weniger bekannten Methoden wie z.B. PQ4R, SOAR und SQ4R (s.u.) beinhalten diese Schritte teilweise.


Phase 5: Review (Rekapitulieren)

Ähnlich wie in der Konversation „Lernen mit Karteikarten“ beschrieben, nehme ich mir von Zeit zu Zeit einzelne Blätter und decke von den Feldern (2) - (4) eins oder zwei ab; lese das was noch sichtbar ist und versuche mich an die abgedeckten Inhalte zu erinnern. Das ganz lässt sich gemäß dem Leitnersystem optimieren, wie Yara in den Punkten 3 und 4 in ihrem Artikel beschrieben hat.


Mit den obigen Ausführungen erhebe ich nicht den Anspruch die SQ3R-Methode wissenschaftlich korrekt beschrieben zu haben. Das war auch nicht mein Ziel — Ich wollte Dir beschreiben wie ich (mich interessierende) wissenschaftliche Texte lese.

Es mag mittlerweile bessere und effektivere Methoden geben. Ich habe mir allerdings zur Regel gemacht, wenn immer ich eine effektive und halbwegs effiziente Problemlösungsmethode habe, diese zu nutzen und, wenn möglich, im Laufe der Zeit, aufgrund der gewonnenen Erfahrung, zu optimieren. Das erscheint mir sinnvoller, als unentwegt nach der besten und neusten Methode zu suchen und am Ende nicht einmal eine mittelmäßige Methode zu beherrschen. ;-)

Wenn Du aus obiger Beschreibung die eine oder andere Anregung entnehmen konntest, dann habe ich mehr als mein Ziel erreicht und bin zufrieden.:allsmiles:


Alternativen zur SQ3R-Methode:

Falls Dir die oben beschriebene Vorgehensweise nicht zusagt, dann gefällt Dir vielleicht eine der folgenden Alternativen:
  • PQ4R: Preview, Question, Read, Reflect, Recite und Review
  • SOAR: Select, Organize, Associate und Regulate
  • SQ4R: Survey, Question, Read, Recite, Review und Reflect

WWW-Links zur Vertiefung::notebook:
  • SQ3R-Methode (mit Gegenüberstellung der PQ4R-Methode): https://de.wikipedia.org/wiki/SQ3R-Methode
  • Auf der Webseite vom ERIC - Institute of Educational Science findest Du viele Artikel zu PQ4R, SOAR, SQ3R und SQ4R.
    • Gehe dazu auf die Webseite URL: https://eric.ed.gov/ und wähle den Reiter „Collection“ falls er grau ist, wenn er grün ist gebe als Suchwort ein: PQ4R, SOAR, SQ3R oder SQ4R und drücke auf <Search>
    • Viele der angezeigten Dokumente dürfen, unter Beachtung der Copyright-Bedingungen ( https://eric.ed.gov/?copyright ) als Volltext herunter geladen werden.

Bitte:

Es wäre toll, wenn auch Du hier im Forum berichten würdest, wie Du beim Lesen wissenschaftlicher Texte vorgehst und/oder wie Du meine Methode modifizieren würdest, um sie z.B. effizienter zu gestalten.

Wir können uns nur verbessern! :cool:
 
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Hab vor kurzem auch Cornell-Notes und SQ3R kennen gelernt.

Bei der Bearbeitung der alten Klausuren von BWL II & III ist Cornell sehr hilfreich, da man Kommentare zu den einzelnen Aufgaben nachträglich einfügen kann und man diese viel besser sieht. Zudem als Zusammenfassung den Stoffinhalt der Seite aufgeschrieben. Somit wär eine Statistik wann, was drankommt, möglich. Jedoch war es zu kurz vor der Klausur um mit SQ3R noch anzufangen. Kann diese Art der Bearbeitung nur empfehlen. Dauert aber etwas bis man sich in das System eingearbeitet hat.

Jetzt im neuen Semester bedauerlicher Weise noch Probleme wie ich es in den neuen Fächern Mathe/Statistik und Makroökonomie mache. Bin da noch nicht so weit wie ich eigentlich wollte.

Das Video von Marty Lobdell auf Youtube zum Thema Lernen und SQ3R ist auch zu empfehlen.
 
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@AIJoh

Danke für Deine Rückmeldung und den Hinweis auf Marty Lobdell. Ich vermute Du meinst das Video "Study Less Study Smart". Es enthält wirklich eine Reihe guter Tipps zu:

Start_______Thema_______________________________
00:15 – 1) Study break
07:50 – 2 Reward system
10:19 – 3) Dedicated study area (Behavior Reinforcement)
19:49 – 4) Rote memorization vs. Active learning
32:49 – 5) Study groups
33:58 – 6) Highlighting books (Recognition vs. Recollection)
36:37 – 7) Remembering (Recollection) ----
36:57 – 8) Sleeping (REM Sleep)
39:09 – 9) Taking notes
41:20 – 10) Active Recitation
43:22 – 11) Study from books (SQ3R = Survey, Question, Read, Recite, Review)
47:42 – 12) Mnemonics (Acronyms, Coin Sayings, Interactive Images)​

Deshalb habe ich es hier eingefügt (Dauer: 59:55 Min.).


@AIJoh : Gibt es noch ein spezielles Video zu SQ3R?




Mathe/Statistik und Makroökonomie

In diesen Fächern würde ich weniger Zeit auf SQ3R verwenden, dafür mehr auf das Lösen von Aufgaben. Die Skripte, Lehrbücher und Formelsammlungen würde mehr als "Kochbücher" oder "Gebrauchsanleitung" nutzen, die mir sagen wie ich die Aufgaben lösen kann.

Wenn es um die Nutzung der Cornell Notes in Mathe geht, dann ist wahrscheinlich @banzai die richtige Ansprechpartnerin (s.
https://www.fernuni-hilfe.de/fernuni-hagen/neustart-die-zweite.7803/page-56#post-200500 )

Beim Lernen von Formeln und Kennzahlen hatten mir damals Mnemonics sehr geholfen. Ich finde die Technik sehr spannend und unterhaltsam. Marty Lobdell beschreibt die Technik am Ende seines Vortrags. Auf CiteSeerX gibt es einen Artikel über "Using Mnemonics to Teach Statistics" mit ein paar einfachen Beispielen (URL: http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.847.7947&rep=rep1&type=pdf )

Falls es Dich interessiert, wie ich die Technik nutze, um mir Paragrafen zu merken, an die ich mich nicht erinnern kann, dann schau mal hier: https://www.fernuni-hilfe.de/fernuni-hagen/die-wissenschaft-nährt-die-jugend-und-ergötzt-das-alter-cicero.23793/page-2#post-194638

Ich hatte die Technik auch genutzt, um mir chinesische Schriftzeichen zu merken (s.: https://www.fernuni-hilfe.de/fernuni-hagen/ll-b-dieses-mal-richtig.23866/#post-199233 ). Kurz gesagt: Ich kann Mnemeonics nur wärmstens empfehlen.

Viel Erfolg in Mathe/Statistik und Makroökonomie!
 
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Bei der Such nach den Video von Marty Lobdell (s.o.) war ich auch auf dieses kurze Video (2:32 Min.) von Jen Jonson über die SQ3R-Methode gestossen. Viel Spass!

 
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