Das war die Klausur !!
Bitte wählen Sie
zwei der folgenden Themenbereiche (I./II./III.) zur Bearbeitung aus.
I. Verfassungsgeschichte
Aufgabe 1:
August Bebel schrieb im Jahr 1879 in seinem Buch „Die Frau und der Sozialismus“:
„Von allen Parteien ist die sozialdemokratische Partei die einzige, welche die volle
Gleichberechtigung der Frau, ihre Befreiung von jeder Abhängigkeit und Unterdrückung in ihr
Programm aufgenommen hat, nicht aus agitatorischen Gründen, sondern aus Notwendigkeit. Es
gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der
Geschlechter.“ (August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Frankfurt a.M. 1946/1976, S. 30)
Erörtern Sie, inwiefern die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 dem Anliegen
Bebels Rechnung trug und wo sie Defizite enthielt. Nehmen Sie dabei auch zur Geltung des
allgemeinen Gleichheitssatzes sowie zur Wahlrechtsgleichheit unter der Verfassung des Deutschen
Reiches vom 16. April 1871 Stellung und berücksichtigen Sie dabei den historischen Kontext der
Verfassunggebung.
Aufgabe 2:
Erläutern Sie, welche Fortschritte die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 in
Bezug auf die soziale Unabhängigkeit der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter im Vergleich
zur Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 gebracht hat. Nehmen Sie dabei auf
Normen aus den abgedruckten Verfassungstexten Bezug. Diskutieren Sie, wie sich die einschlägigen
Gewährleistungen der Weimarer Reichsverfassung auf die Verfassungswirklichkeit ausgewirkt
haben.
Aufgabe 3:
Arbeiten Sie heraus, inwiefern sich das in der Weimarer Republik vorherrschende und von Gerhard
Anschütz zum Ausdruck gebrachte Gleichheitsverständnis von dem unter dem Grundgesetz in
seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht geprägten und durch europäische Einflüsse
angereicherten Gleichheitsverständnis unterscheidet. Berücksichtigen Sie bei Ihrer Antwort die
folgenden Zitate von Gerhard Anschütz aus seiner Kommentierung zu Art. 109 WRV:
„Wenn behauptet wird [...], daß, falls Abs. 1 sich nur an die Vollziehung, nicht auch an die
Gesetzgebung richte, ‚das Grundrecht der Rechtsgleichheit fast bedeutungslos sein würde‘, so
vermag ich dieser Behauptung [...] nicht zu folgen. Die Bedeutung des Abs. 1 ist auch ohnedies groß
genug; sie besteht darin, daß er der Rechtsanwendung, der administrativen wie der
streitentscheidenden (Verwaltung und Justiz) Schranken setzt durch das Verbot der Willkür [...].“
(Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art.
109 Anm. 2, S. 524 f.)
„Die Gleichberechtigung erstreckt sich jedoch nur auf den Kreis der staatsbürgerlichen Rechte und
Pflichten, [...] und auch hier gilt sie nicht unbeschränkt, sondern nur ‚grundsätzlich‘, d.h. unter
Vorbehalt aller Reichs- und Landesgesetze, welche Ausnahmen von dem Grundsatz vorschreiben
oder zulassen. [...] Vorrechte des Ehemannes vor der Ehefrau bleiben also von dem Prinzip des Abs.
2 unberührt. Inwieweit Art. 119 Abs. 1 Satz 2 den Gesetzgeber zu ihrer Aufhebung verpflichtet, ist
eine Frage für sich.“ (Gerhard Anschütz, Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919,
14. Aufl. 1933, Art. 109 Abs. 2 Anm. 3, S. 529 f.)
Bearbeitervermerk:
Bearbeiten Sie die Aufgaben 1 bis 3 in vollständigen Sätzen und beziehen Sie sich in Ihren
Antworten möglichst auf die bereitgestellten Quellen. Zur Bearbeitung der Aufgaben stehen
Ihnen zusätzlich die folgenden, als PDF bereit gestellten Anlagen zur Verfügung:
Anlage 1: Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 (Reichsgesetzblatt 1871, S. 63 ff.,
Text veröffentlicht von documentArchiv.de, abrufbar unter
documentArchiv.de - Verfassung des Deutschen Reichs ["Bismarcksche Reichsverfassung"] (16.04.1871) (abgerufen am 18.06.2020)
Anlage 2: Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (bereitgestellt von der
Juristischen Fakultät der Universität Würzburg, abrufbar unter
https://www.jura.uniwuerzburg.
de/fileadmin/02160100/Elektronische_Texte/Verfassungstexte/Die_Weimarer_Reichsve
rfassung_2017ge.pdf, abgerufen am 18.06.2020)
Anlage 3: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949
II. Privatrechtsgeschichte
1. Die Präambel des am 1. Januar 1810 in dem Großherzog Baden in Kraft getretenen „Badischen
Landrechts“ lautet wie folgt:
„Wir Carl Friderich von Gottes Gnaden,
Großherzog von Baden, Herzog zu Zähringen etc.
Haben durch Unser Edikt vom 5ten July des vorigen Jahrs die Annahme des Code Napoleon als
bürgerliches Gesetzbuch oder Landrecht Unseres Großherzogthums beschlossen, und verkündet, in
der Maase jedoch, daß in Zusäzen dasjenige näher bestimmt werde was nöthig ist, um eine sichere,
dem Geist dieses Gesetzes stets gemäße und zugleich der hierländischen Landes-Art und Sitte nicht
nachtheilige Anwendung zu begründen.
Wir hätten dabey gewünscht, daß mit dem Anfang dieses Jahres die allgemeine Einführung möglich
werde; dieses hat jedoch die obwohl mit allem Eifer betriebene Zubereitung der Uebersetzung und
ihrer Zusäze nicht gestattet. Jetzt erst ist Uns solche vollendet vorgelegt worden, und noch mehrere
Wochen sind nöthig, bis sie auch gänzlich die Presse verlassen kann, durch welches öffentliche
Erscheinen nachmals erst Unsere Diener und Unterthanen in den Stand kommen, sich mit dieser
neuen Regel ihres Verfahrens bekannt zu machen.“
1. Interpretieren Sie diese Präambel und gehen Sie dabei insbesondere auf die Kodifikationen und
die Bedeutung des französischen Rechts für Deutschland ein!
2. Was ist ein „Landrecht“ und was meint „sichere, dem Geist dieses Gesetzes stets gemäße und
zugleich der hierländischen Landes-Art und Sitte nicht nachtheilige Anwendung“?
2. Das „Abzahlungsgesetz“ von 1894 zählt zu den wichtigsten privatrechtlichen Gesetzen, die neben
dem BGB in Kraft traten:
„Gesetz, betreffend die Abzahlungsgeschäfte. Vom 16. Mai 1894.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.
verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags,
was folgt:
§. 1. Hat bei dem Verkauf einer dem Käufer übergebenen beweglichen Sache, deren Kaufpreis in
Theilzahlungen berichtigt werden soll, der Verkäufer sich das Recht vorbehalten, wegen
Nichterfüllung der dem Käufer obliegenden Verpflichtungen von dem Vertrage zurückzutreten, so
ist im Falle dieses Rücktritts jeder Theil verpflichtet, dem anderen Theil die empfangenen
Leistungen zurückzugewähren. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist nichtig.
Dem Vorbehalte des Rücktrittsrechts steht es gleich, wenn der Verkäufer wegen Nichterfüllung
der dem Käufer obliegenden Verpflichtungen kraft Gesetzes die Auflösung des Vertrages verlangen
kann.
§. 2.
Der Käufer hat im Falle des Rücktritts dem Verkäufer für die in Folge des Vertrages gemachten
Aufwendungen, sowie für solche Beschädigungen der Sache Ersatz zu leisten, welche durch ein
Verschulden des Käufers oder durch einen sonstigen von ihm zu vertretenden Umstand verursacht
sind. Für die Ueberlassung des Gebrauchs oder der Benutzung ist deren Werth zu vergüten, wobei
auf die inzwischen eingetretene Werthminderung der Sache Rücksicht zu nehmen ist. Eine
entgegenstehende Vereinbarung, insbesondere die vor Ausübung des Rücktrittsrechts erfolgte
vertragsmäßige Festsetzung einer höheren Vergütung, ist nichtig.
Auf die Festsetzung der Höhe der Vergütung finden die Vorschriften des §. 260 Absatz 1 der
Civilprozeßordnung entsprechende Anwendung.“
Interpretieren Sie diese Bestimmungen! Warum galt das Abzahlungsgesetz als ein „soziales“
Gesetz?
III. Strafrechtsgeschichte
„Unter Zweck der Strafe wird die Wirkung verstanden, deren Hervorbringung als Ursache des
Daseins einer Strafe gedacht werden muss, wenn der Zweck von Strafe vorhanden sein soll.
I. Der Zweck der Androhung der Strafe im Gesetz ist Abschreckung Aller, als
möglicher Beleidiger, von Rechtsverletzungen.
II. Der Zweck der Zufügung derselben ist die Begründung der Wirksamkeit der
gesetzlichen Drohung, inwiefern ohne sie diese Drohung leer (unwirksam) sein würde. Da
das Gesetz alle Bürger abschrecken, die Vollstreckung aber dem Gesetz Wirkung geben soll,
so ist der mittelbare Zweck (Endzweck) der Zufügung ebenfalls bloße Abschreckung der
Bürger durch das Gesetz.“
(Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts)
a) Ordnen Sie diese Quelle in ihren zeitlichen Kontext ein und beschreiben Sie diese Ära
anhand von fünf prägenden Charakteristika.
b) Wie ist die Äußerung Feuerbachs in das System der Strafzwecke einzuordnen?
c) Erklären Sie den Unterschied, den Feuerbach zwischen dem Zweck der Strafandrohung und
dem Zweck der Strafverhängung zieht.
d) Welche Folgerungen zieht Feuerbach selbst aus seiner Strafzweckbestimmung?