Pflichtprüfung "Vieles sei vertretbar"

Studiengang
Bachelor of Laws
2. Studiengang
Erste Juristische Prüfung
Ich will hier ganz generell mal zum Nachdenken und Diskutieren anregen.

Vielfach wird in den Raum gestellt, auch andere Loesungen seien vertretbar usw.
In der Praxis scheint mir aber eher, dass abweichende Sichtweisen unter besonderen Argus-Augen durchlaufen muessen oder zumindest oftmals komplett "wegignoriert" werden oder sobald der Pruefer das sieht, vermehrt auf Fehlersuche geht.

Die Korrekturkräfte klappern das dann genauso ab, haben aber offensichtlich auch nicht die Kompentenz, andere Lösungen eigenständig angemessen zu würdigen. Wer dann nicht die "richtige" Lösung hat, sieht sich auf einmal mit einem unerwartet schlechten Ergebnis konfrontiert, obwohl eigentlich vertretbar gelöst.

So kommt mir das auch vor. Kein Wunder, dass ein Volk von Mitlaeufern und Jasagern herbeigezuechtet wurde und wird.

Was denkt Ihr? Ist das wirklich so, dass man angemessene Punkte beim Vertreten einer abweichenden Meinung bekommen kann?
 
Was denkt Ihr? Ist das wirklich so, dass man angemessene Punkte beim Vertreten einer abweichenden Meinung bekommen kann?

Kurzversion: Ja, kann man.

Langversion: Was ist denn mit "abweichende Sichtweisen" gemeint? Die Bevorzugung einer nicht der (vermeintlichen) h. M. entsprechenden Gesetzesauslegung? Oder eine von dem Lösungsvorschlag abweichende Subsumtion des Sachverhaltes unter den abstrakten Rechtssatz?

Was das erste betrifft, besteht natürlich die Möglichkeit, dass der Korrektor die (vermeintliche) h. M. ohne großes Nachdenken abhakt, während er bei a. A. eher Argumentation verlangt. Logisch zu Ende gedacht müsste das aber eigentlich bedeuten, dass auch, wenn der h. M. gefolgt wird, mehr Argumentationsaufwand gefordert werden müsste, sprich, die a. A. nicht unbedingt mit besonderen Argusaugen betrachtet wird, sondern ein Folgen der h. M. zu kritiklos hingenommen wird. Im Ergebnis läuft das natürlich auf das Gleiche hinaus.

Bei der Subsumtion ist es eher die Frage, wie nahe die abweichende Würdigung tatsächlich liegt. Wenn man der Meinung sein will, dass der 2 mm lange, innen am Radkasten liegende Kratzer am Lack eines gebrauchten PKW als Sachmangel nicht unerheblich im Sinne von § 323 V 2 BGB ist (und damit zum Rücktritt berechtigt), kann man das argumentativ natürlich vertreten. Der Aufwand, das zu begründen, ist aber nach der Natur der Sache wesentlich höher, als das als unerheblich einzustufen.

Ohne Anschauungsmaterial ist es ohnehin müßig, über die Frage zu diskutieren. Denn oftmals neigt der Mensch dazu, sein eigenes Tun nicht allzu kritisch zu hinterfragen, und dann hat man in der eigenen Wahrnehmung die nicht ganz so tolle Note halt bekommen, "weil man eine abweichende Meinung vertreten hat", und nicht, weil die Arbeit vielleicht an anderer Stelle noch Defizite aufwies.
 
Ich will hier ganz generell mal zum Nachdenken und Diskutieren anregen.

Vielfach wird in den Raum gestellt, auch andere Loesungen seien vertretbar usw.
In der Praxis scheint mir aber eher, dass abweichende Sichtweisen unter besonderen Argus-Augen durchlaufen muessen oder zumindest oftmals komplett "wegignoriert" werden oder sobald der Pruefer das sieht, vermehrt auf Fehlersuche geht.



So kommt mir das auch vor. Kein Wunder, dass ein Volk von Mitlaeufern und Jasagern herbeigezuechtet wurde und wird.

Was denkt Ihr? Ist das wirklich so, dass man angemessene Punkte beim Vertreten einer abweichenden Meinung bekommen kann?
Wenn du dir die Argumentationen der verschiedenen Ansichten anschaust, hat es häufig einen Grund, weshalb sich eine Meinung als h.M. etabliert hat, insbesondere in der Literatur. Sie lässt sich oftmals logischer verargumentieren, als eine Mindermeinung, die manchmal mehr Schwächen aufweist, auf die du dann entsprechend eingehen musst. Man kann das machen, muss aber aufpassen, dass man in der Klausur mit der Zeit hinkommt und sich durch seine Entscheidung keine Prüfung abschneidet. Im Rep hat man uns gesagt, "Sie wollen keinen juristischen Aufsatz veröffentlichen, sondern dem Prüfer zeigen, dass Sie den Fall lösen können".
 
Das halte ich fuer ein gutes Argument. Danke, OF.

Aber auch das, was WO beigetragen hat, liest sich logisch.

Ich finde es nur immer wieder befremdlich, wenn eingefaerbte Themen vom Lehrstuhl gestellt werden, die politisch so derart problematisch sind, dass einem schon der Verdacht aufkommt, der Lehrstuhl will aus Gruenden des Themas an sich schon eine gewisse Argumentationsrichtung hoeren/lesen.
 
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